3.1.1.14 Inhaltliche Bewertung

a) Vorbemerkungen

In den Prüfungslehrproben weisen die Studienreferendare ihre Kompetenzen hinsichtlich der Gestaltung von Unterricht nach, die sie in Lehrversuchen und beim zusammenhängenden bzw. eigenverantwortlichen Unterrichten erworben haben. Das bedeutet, dass alle Kompetenzen zu bewerten sind, die für die Planung und Durchführung einer Unterrichtsstunde relevant sind:

  1. die fachwissenschaftliche Kompetenz,

  2. die fachdidaktische Kompetenz,

  3. die fachmethodische Kompetenz und

  4. die Kompetenz im erziehungswissenschaftlichen Bereich.

Eine Lehrprobe ist keine andere, sondern nur eine situativ besondere Form von Unterricht. Für Lehrproben gelten die gleichen Grundsätze guten Unterrichts wie für gewöhnliche Unterrichtsstunden.

Die Ausbildung der Studienreferendare zielt auf die professionelle Gestaltung von Unterricht und Erziehung ab. Die dabei vermittelten Anleitungen zur Gestaltung von Unterricht und die Kriterien zur Beurteilung von Unterricht müssen nahtlos übereinstimmen. Die Beurteilungskriterien sollen deshalb im Rahmen der Ausbildung Gegenstand der Behandlung und der Erörterung sein. Verbindliche Vorbereitungsschemata für Lehrproben stehen jedoch im Widerspruch zum Status der vollen Eigenverantwortlichkeit des Lehrers im Unterricht. Der kreativen Weiterentwicklung guten Unterrichts muss der erforderliche Raum gegeben sein.

Die im Folgenden aufgeführten Beurteilungskriterien sind als Entscheidungshilfen, nicht jedoch als Entscheidungsschemata zu verstehen. Sie sollen verhindern, dass wichtige Gesichtspunkte übersehen werden, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dürfen im Gutachten nicht in Form einer bloßen Aufzählung verwendet werden. Die unterschiedliche Gewichtung einzelner Bewertungskriterien verbietet eine Schematisierung bei der Bildung der Gesamtnote aus bewerteten Einzelaspekten.

Sachli­che Unrichtigkeit darf beispielsweise nicht durch sichere Handhabung der Geräte oder gewandtes Auftreten ausgeglichen werden.

Entscheidend ist, dass die Prüfer das Unterrichtsgeschehen in einer Prüfungslehrprobe stets als komplexen Vorgang betrachten und – unter Würdigung von Einzelgesichtspunkten – dessen Gesamtheit beurteilen. Das Gutachten als umfassende Gesamtwürdigung des Unterrichtsgeschehens und der Lehrerper­sönlichkeit wertet deshalb die spezifisch hervortretenden Merkmale des konkreten Unterrichtsverlaufs ohne Pedanterie in einem ausgewogenen Gesamtzusammenhang.

Der knapp gehaltene Beurteilungskatalog folgt nicht dem Gang der Vorbereitung und des Unterrichts. Er ist systematisch angeordnet und enthält einzelne Komponenten, die in der überwiegenden Zahl jeweils die gesamte Unterrichtszeit über zu beobachten sind.

Lehrproben sind Prüfungssituationen, bei denen der Lernerfolg in der Regel nur indirekt erschlossen, nicht schriftlich gemessen werden kann. Eine Lehrprobe ist eine Bewährungssituation auf dem Weg zu einer Lehramtsbefähigung, in der die angehende Lehrkraft ihren Ausbildungsstand nachweisen kann, die jedoch stets nur den an diesem Tag in dieser Klasse erreichten Erfolg widerspiegelt.

Eine von dem/der Kandidaten/in sinnvoll begründete, von der Auffassung eines/r Prüfers/in abweichende Lehrmeinung darf für sich nicht Gegenstand einer negativen Bewertung sein.

b) Kriterienkatalog

Unterrichtsgegenstand

  • Fachliche Richtigkeit
    Der Fachunterricht orientiert sich am aktuellen fachwissenschaftlichen Kenntnisstand und an den jeweils typischen fachgemäßen Methoden. Solide Fachkenntnisse und deren kontinuierliche Aktualisierung sind damit zwingend erforderlich, um die fachwissenschaftlichen Anforderungen an guten Fachunterricht erfüllen zu können.


Zu bewerten sind Umfang/Verfügbarkeit der Fachkenntnisse und die fachliche Kompetenz (fachgemäße Argumentation, Einschätzung der Schülerbeiträge).

  • Struktur des Gegenstandes
    Die Reife der Schüler und die Fachkompetenz der Lehrkraft bedingen das Anspruchsniveau des Unterrichts. In einer guten Unterrichtsstunde gelingt es der Lehrkraft, komplexe Sachverhalte für sich und auch für die Schüler sachgerecht und verständlich aufzuschließen.


Zu bewerten sind

  1. die Auswahl von Lerninhalten nach sachlogischen, lernpsychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten,
  2. die schlüssige Vernetzung der Lerninhalte innerhalb der Unterrichtsstunde sowie über größere Unterrichtssequenzen hinweg
  3. eine altersgemäße Aufbereitung von wissenschaftlichen Sachverhalten und Fragestellungen (didaktische Reduktion) und
  4. ein nachvollziehbarer Zusammenhang von Zielen und Inhalten.
  • Gehalt und Anschaulichkeit der Arbeitsmittel
    Die verwendeten Anschauungsmittel (Originale, Modelle, Medien etc.) sollen die Schüler/innen motivieren und ihnen den Zugang zum Unterrichtsgegenstand erleichtern. Nicht die Fülle des Materials, sondern dessen Zweckmäßigkeit ist entscheidend. Dabei ist es sinnvoll, eine These nicht nur an einem, sondern an mehreren Beispielen nachzuvollziehen.


Zu bewerten sind

  1. die zielgerichtete Auswahl der Anschauungsmittel,
  2. der zweckmäßige Einsatz der Anschauungsmittel zum richtigen Zeitpunkt und im angemessenen Umfang,
  3. die Klärung fachspezifischer Termini (bei Textquellen), ggf. in Eigentätigkeit durch die Schüler,
  4. die sinnvolle Auswertung des (ggf. selbst gefertigten) Materials und
  5. ggf. die den Unterrichtszielen dienliche Vorbereitung und Durchführung von Experimenten (Einbindung in den Unterricht, Darbietung und Auswertung).
  • Thematisierung
    Die Einzelstunde ist in der Regel Teil einer Unterrichtssequenz, die einen Themenbereich nach didaktischen Gesichtspunkten und nach Maßgabe des Lehrplans gliedert. Lehrplangemäßer Unterricht umfasst grundsätzlich alle im Lehrplan verankerten Zielsetzungen. Das bedeutet, dort, wo geeignete Anknüpfungspunkte erkennbar sind, ist der Fachunterricht gehalten, fächerverbindende und fächerübergreifende Zielsetzungen aufzugreifen.


Zu bewerten sind

  1. die Beachtung aller Ebenen des Lehrplans für die bayerische Realschule,
  2. die Festlegung und Differenzierung angemessener Lernziele,
  3. eine sinnvolle und nachvollziehbare Schwerpunktsetzung,
  4. das Einordnen der Lerninhalte in größere Zusammenhänge,
  5. fachübergreifende und fächerverbindende Bezüge sowie
  6. Aktualität und Bezug zur Lebenswirklichkeit.
  • Lernzielsetzung und Operationalisierung
    Die Lerninhalte sind so zu wählen, dass die Lernziele (Kompetenzzuwachs) erreicht werden. Das heißt Lerninhalte werden nicht um ihrer selbst willen thematisiert; sie stehen stets in einem Begründungszusammenhang mit den Lernzielen. Die Stofffülle wird so beschränkt.
    Bei der Begründung der Lernziele sind alternative Möglichkeiten und die individuellen Besonderheiten der Klasse zu erwägen. Die Stundenlernziele beschränken den Stoff, ordnen die Vielfalt, bestimmen die Denk- und Handlungsrichtung der Stunde und begrenzen das Lernvolumen.
    Die operationalisierten Lernziele sind identisch mit den beabsichtigten Ergebnissen der Stunde. Im kognitiven Bereich verlangt das Problem der Belastung der Schüler eine klare, für den Schüler erkennbare Trennung in Kernwissen (Unterrichtsergebnisse) und in Orientierungs- sowie Randwissen.


Zu bewerten sind

  1. die Formulierung klarer Lernziele,
  2. die Art und Weise, wie die im Entwurf geplanten Lernziele vor dem Hintergrund der pädagogischen Situation in der Klasse erreicht wurden und
  3. inwieweit das Grundwissen gemäß Lehrplan berücksichtigt wurde.

 

Unterrichtsaufbau

  • Gliederung
    Die Stunde soll eine überzeugende, in sich geschlossene Abfolge der einzelnen Lehrschritte aufweisen. Dazu gehört auch, dass keine Brüche an den didaktischen Gelenkstellen entstehen, sondern sich die Übergänge organisch ergeben.


Zu bewerten sind

  1. eine nachvollziehbare, einsichtige Abfolge von Teilzielen und
  2. Zwischenwiederholungen zur Verdeutlichung der Lernschritte.
  • Lernprozess
    Die fachspezifischen Denk- und Handlungsmethoden und die fachspezifischen Arbeitstechniken, die den Gang des Unterrichts steuern, sind für den Schüler kognitive bzw. instrumentelle Lernziele.


Zu bewerten sind

  1. die fachspezifischen Denk- und Handlungsmethoden,
  2. die fachspezifischen Arbeitstechniken,
  3. das Eingehen auf fachliche Schwierigkeiten einzelner Schüler und
  4. die Anwendung von Lernhilfen.
  • Unterrichts- und Sozialformen
    Ebenso wenig wie bei den Denkmethoden und bei den Arbeitstechniken darf es bei den Sozialformen nicht darum gehen, dass möglichst viele eingesetzt werden. Die Frage ist vielmehr, inwieweit die sinnvoll ausgewählten Formen zielorientiert durchgeführt werden. Es darf keinesfalls Aufgabe der Lehrerkraft sein, im Unterrichtsgespräch alles aus den Schülern zu erfragen (damit wird der Gegenstand oft nur zerredet). Was die Schüler selbst erarbeiten können, sollte ihnen der Lehrer nicht vorgeben. Der Leitsatz heißt: So viel Unterricht, in dem die Schüler mitbestimmend tätig sind, wie möglich und so oft Frontalunterricht zum nachvollziehenden Lernen wie nötig.


Zu bewerten sind:

  1. die Orientierung der Lehr- und Arbeitsformen an den Lerninhalten, dem Alter der Schüler und dem Leistungsstand der Klasse
  2. die sinnvolle Wahl und Abwechslung der Methoden und
  3. der Einsatz von Sozialformen, die dem Thema und den angestrebten Zielen angemessen sind.
  • Lernfortschrittsfeststellung und Ergebnissicherung, Hausaufgabe
    Lernfortschrittsfeststellung ist permanente unterrichtsbegleitende Aufgabe der Lehrkraft. Es erscheint wichtig, dass die Lehrkraft eine Atmosphäre der Lernbereitschaft und der personalen Offenheit schafft. Auf die Kongruenz von Lernzielen, Teilzusammenfassungen, Gesamtzusammenfassungen, Tafelbild, Aufgabenstellung und Leistungserhebung ist zu achten. Besondere Sorgfalt ist auf die sinnvolle Planung der Hausaufgaben zu legen. 


Zu bewerten sind

  1. ggf. die Überprüfung der Hausaufgabe aus der vorangegangenen Stunde,
  2. Entwurf und Ausführung des Tafelbilds und des Hefteintrags bzw. andere Form der schriftlichen Fixierung,
  3. die Ergebnissicherung (vor allem bei Formen selbstständiger Schülerarbeit),
  4. die Einübung und Vertiefung des Erarbeiteten,
  5. die für den Schüler erkennbaren Wiederholungen (Grundwissen),
  6. die Zwischen- und Schlusszusammenfassungen und
  7. Platzierung, Stellung und Art der neuen Hausaufgabe.

Unterrichtsführung

  • Sprache und Ausdrucksvermögen
    Die Sprache der Lehrkraft muss für jede Altersstufe Vorbildcharakter aufweisen. Sie hat stets die Grundforderung, Deutsch müsse als Unterrichtsprinzip alle Fächer durchdringen, zu berücksichtigen.


Zu bewerten sind

  1. die Beherrschung und angemessene Verwendung der Fachsprache,
  2. Verständlichkeit, Anschaulichkeit, Klarheit, Wortschatz, Wortwahl und Niveau,
  3. Lehrton und Eindringlichkeit,
  4. Lautstärke, Modulation, Artikulation und Tempo sowie
  5. Mimik und Gestik.
  • Gesprächsführung
    Für einen angemessenen Arbeitsrhythmus im Unterrichtsablauf bedarf es der wohl überlegten Gesprächsführung durch die Lehrkraft. Hierbei sollen, fachspezifisch notwendigerweise unterschiedlich akzentuiert, Fragestellung und Impulssetzung, Lehrervortrag und gebundenes/freies Schülergespräch angemessen abwechseln. Erst die Wertschätzung des Gesprächspartners als Person und seiner Argumente schafft eine menschenwürdige Gesprächsatmosphäre. Hierauf hat die Lehrkraft bei sich, aber auch bei den Schülern untereinander zu achten.


Zu bewerten sind

  1. die Fragetechnik,
  2. Anregung zur Problemfindung und –lösung,
  3. das motivierende und zugleich sachdienliche Verwerten von Schülerbeiträgen,
  4. die Berücksichtigung von Alter, Kenntnisstand und Leistungsvermögen der Schüler,
  5. die Achtung der Schülerpersönlichkeit,
  6. einfühlendes Verständnis und
  7. eine positive Erwartungshaltung und Glaubwürdigkeit des Lehrers.
  • Motivation und Mitarbeit der Schüler/innen
    Das Bewusstsein des gemeinsamen Bemühens um die Sache schafft eine anregende und konzentrierte Arbeitsatmosphäre, in der sich auch die erziehlichen Elemente entfalten können. Die Motivation sollte durch die verschiedensten unterrichtlichen Maßnahmen gefördert werden. Interesse am Lerninhalt (sachbezogener Anreiz) und Leistungsmotivation sind gegenüber situativen Anregungsvariablen zu bevorzugen. Der Einstieg motiviert, indem er die Frage und Handlungsbereitschaft der Schüler weckt; aber erst die Befriedigung des Interesses im Verlauf der Stunde entscheidet über den Erfolg.
    Problemorientierter Unterricht motiviert, zentriert Teilfragen, erzwingt eine gründliche Stoffanalyse, zielt auf Lösungen, macht den Gang des Lernprozesses transparent, ermöglicht ein längerphasiges Arbeiten und regt die Eigeninitiative der Schüler an.


Zu bewerten sind

  1. Einfallsreichtum, Impulsgebung und Anregung,
  2. das Einbeziehen möglichst vieler Schüler,
  3. positive und negative Verstärkung und
  4. die Reaktion auf schwankende Mitarbeitsbereitschaft.
  • Auftreten und Haltung vor der Klasse
    Das Auftreten des Lehrers vor der Klasse soll gekennzeichnet sein durch Sicherheit, natürliche Aufgeschlossenheit, Arbeitsbereitschaft, unaufdringliche Freundlichkeit, demokratische Partnerschaftlichkeit (ohne Anbiederung), Geduld, Flexibilität und Zielstrebigkeit. Eine humorvolle Grundeinstellung gegenüber sich selbst und den Schülern schafft Kontakt und weckt Lernfreude. Lehrkräfte sollten auf die ihrer Rolle angemessene äußere Erscheinung achten.


Zu bewerten sind

  1. Angemessenheit und Variabilität der Verhaltensweisen,
  2. Flexibilität und Spontaneität,
  3. Selbstbeherrschung, Entschiedenheit und Sicherheit,
  4. Klarheit der Arbeitsanweisungen und
  5. der Kontakt zur Klasse.
  • Arbeitstempo und Zeitplan: „Dramaturgie des Unterrichts"
    Es muss erkennbar sein, dass ein Zeitplan erstellt wurde, der der Schwierigkeit des Lerngegenstandes und der daraus resultierenden Stoffauswahl entspricht und in natürlichem Arbeitstempo zum planmäßigen Erreichen der Unterrichtsziele führt, aber während der Durchführung Korrekturen zulässt.


Zu bewerten sind

  1. eine ausgewogene Zeiteinteilung und Strukturierung der Unterrichtsstunde,
  2. die Reaktion auf unvorhergesehene Schülerbeiträge und nicht erwartetes Schülerverhalten sowie auf technische Pannen,
  3. angemessenes Tempo und Tempowechsel und
  4. die Berechtigung eventueller Abweichungen vom Lehrprobenentwurf.
  • Organisation
    Medien sind nach Anzahl und Beschaffenheit fachgemäß für die jeweilige Jahrgangsstufe auszuwählen, bereitzustellen und an geeigneter Stelle einzusetzen. In entsprechenden Fächern ist es Aufgabe der Lehrkraft, das erhöhte Unfallrisiko zu reduzieren. Die Ausnutzung aller räumlichen Möglichkeiten erhöht die Intensität des Unterrichts.


Zu bewerten sind:

  1. fachgemäße Fähigkeiten und Fertigkeiten, z. B.
    > anschauliches Erzählen,
    > Beachten von Gefahrenmomenten,
    > bildnerisches Können,
    > Demonstrationsgeschick,
    > Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen,
    > Einsatz von Musikinstrumenten und der Singstimme,
    > Handhabung der Experimente,
    > sportliches Leistungsvermögen oder
    > Sprachbeherrschung,
  2. Ausnutzung der vorhandenen räumlichen Möglichkeiten,
  3. Angemessenheit der Schülergruppierung bzw.
  4. Bereitstellung und Handhabung der Arbeitsmaterialien
  • Erzieherische Kompetenz
    Die Gesamtheit und das Ineinandergreifen von Bildung und Erziehung ist ein wichtiges Kriterium für den Unterricht. Eine gute Prüfungslehrprobe soll sich deshalb nicht allein durch inhaltliche Qualitäten auszeichnen.


Zu bewerten sind

  1. die Übersicht über die Klasse,
  2. die Art und Weise der Einflussnahme auf das Schülerverhalten,
  3. die Förderung des sozialen Verhaltens und
  4. die Umsetzung fächerübergreifender Erziehungsziele (Ebene 1 des Lehrplans).



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