Ausbildungsplan für das Lehramt an Realschulen

2. Allgemeine Ausbildung

2.4 Grundfragen staatsbürgerlicher Bildung

Ausbildungsziele und Inhalte

„Politik ist nah. Politik betrifft alle. Politik braucht politische Bürger.“ Diesen Leitgedanken beherzigend verfolgt die Ausbildung im Fachbereich „Grundfragen der staatsbürgerlichen Bildung“, unabhängig von der Kombination der Unterrichtsfächer, in denen die Referendare didaktisch und methodisch ausgebildet werden, folgende Anliegen:

Zum einen soll jede Lehrkraft ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag der Demokratieerziehung nachkommen können. Dieser findet sich in Art. 131 BayVerf und ist konkretisiert in den übergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen der „Politischen Bildung“ bzw. der „Wertebildung". Hierzu muss die Lehrerin bzw. der Lehrer dem Schüler ein Vorbild sein, das fachkundige Auskunft geben kann, kritisch Stellung bezieht und demokratische Werte aktiv vorlebt, sodass sich bei den Schülerinnen und Schülern wesentliche demokratische Werte, wie z.B. die Achtung der Menschenrechte oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ausbilden können.

Zum anderen verkörpert und vertritt die Lehrkraft in ihrer Rolle als Beamtin bzw. Beamter bereits im Vorbereitungsdienst den Staat als Teil der Exekutive. In dieser Rolle werden zum Teil widersprüchlich anmutende Rollenerwartungen an die Lehrkraft gerichtet, wie z.B. das Gebot der parteipolitischen Neutralität, das scheinbar mit der Vorbildrolle als politischer Bürger zu kollidieren scheint. In diese Rolle hineinzuwachsen und ihren Erwartungen gerecht zu werden – hierbei soll die Ausbildung ebenso helfen.

Um diese beiden Ziele zu verwirklichen, müssen die Studienreferendare von der kritischen Analyse zur reflektierten Bejahung des politisch-sozialen Systems der Demokratie geführt werden.

Demokratie bedeutet vor allem, immer wieder nach den besten Wegen für die Lösung politischer und sozialer Probleme zu suchen und zwar so, dass bei der Konfliktbewältigung auch abweichende Meinungen angemessen berücksichtigt werden. Hier wird deutlich, dass demokratische Verfahren nicht allein auf Mehrheitsentscheidungen reduzierbar sind, sondern dass zu ihrem Wesensgehalt unverzichtbar der Minderheitenschutz gehört.

Grundkenntnisse

Zu jeder Analyse politischer Erscheinungen und Vorgänge gehört entsprechendes Hintergrundwissen. Es ist deshalb erforderlich, dass die Studienreferendare sich mittels geeigneter Methoden die erforderlichen politischen Fachbegriffe ebenso aneignen wie die Elemente der politischen Institutionen und Prozesse. Der Bezug zu Schule und dem schulischen Umfeld soll, wenn immer möglich, hergestellt werden.

Die in § 15 Abs. 2 S.4 ZALR vorgegebenen Themenkreise (im Folgenden kursiv) können mit den hier genannten Lerninhalten behandelt werden, wobei diese der steten Reflexion und ggf. Aktualisierung bedürfen. Ferner sei auch darauf hingewiesen, dass gem. § 15 Abs. 3 ZALR die Reihenfolge nicht bindend und eine Schwerpunktbildung möglich ist (gerade Punkt e. ist für die Ausbildung besonders fruchtbar, da die schulische Anbindung naheliegt).

a. Begründung und Rechtfertigung öffentlicher Herrschaftsgewalt

  • zur Notwendigkeit von Herrschaft (z.B. Interessenpluralismus, Ordnungsfunktion)
  • Demokratie als dominante Staatsform (z.B. Merkmale, Kontrollmöglichkeiten)
  • Legitimationsprobleme und -defizite von Demokratien

b. Politische Ordnungsform der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern und ihre Begründung

  • Institutionen und Verfahren auf europäischer Ebene und deren Auswirkungen auf die Nationalstaaten und den Einzelnen
  • kompakte Übersicht über das politische System der Bundesrepublik Deutschland
  • Besonderheiten der Bayerischen Verfassung (z.B. Kommunalwahlrecht, Volksbegehren/-entscheid)
  • Bedeutung der Grundrechte unter Bezugnahme auf die Schule

c. kritische Auseinandersetzung mit anderen politischen Ordnungsideen der Gegenwart

  • totalitäre/autoritäre Herrschaftssysteme und Ideologien
  • Regionalisierung – Föderalismus – staatsübergreifende Organisationen: Ordnungskonzeptionen im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Zentralismus

d. der politische Prozess in der parlamentarischen Demokratie am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland

  • Meinungsbildung
  • Machtausübung
  • Gesetzgebung
  • Machtbegrenzung und Machtkontrolle

e. ökonomische und soziologische Grundprobleme der Gesellschaft

  • Demografische Entwicklung: Folgen und staatliches Gegenlenken
  • Soziale Marktwirtschaft und Sozialstaat
  • Migration
  • Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt, sozialer Wandel
  • Globalisierung
  • Digitalisierung
  • Staatliche Intervention ins Wirtschaftsleben

f. besondere Inhalte der politischen Bildung

  • Deutschland und seine Rolle in der Weltpolitik
  • Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik
  • (Rechts-)Radikalismus (u.a. Erscheinungsformen, Umgang in der Schule)

Methodische Verbindung von Grundkenntnissen und Prozessanalyse

Für eine sinnvolle Verbindung von Grundwissen und Prozessanalyse bietet sich das exemplarische Verfahren an, das von einzelnen Erscheinungen des politischen und sozialen Geschehens ausgeht und von dort zu einem umfassenden Verständnis führt. Es ist Aufgabe des Seminarlehrers, die verlangten Zielsetzungen an jenen Inhalten exemplarisch zu verdeutlichen, die ihm dafür geeignet erscheinen und die den Vorkenntnissen und Interessen der Referendarinnen und Referendare entsprechen.

Wichtig ist es, die einzelnen beispielhaften Erscheinungen in einen umgreifenden Zusammenhang einzuordnen. Je wirklichkeitsnäher die ausgewählten Beispiele sind, je mehr sie die eigene Existenz betreffen, umso eher sind sie geeignet, politische Bildung als Lebens- und Weltorientierung zu veranschaulichen. Nicht zu vermeiden ist dabei, dass Einzelphänomene oftmals unterschiedlich gedeutet werden. Aber gerade dies – Präzisierung, Diskussion, Akzeptanz auch abweichender Meinungen – macht den Wert politischer Bildung aus.

Fachliche Kompetenzen

Die Studienreferendarinnen und Studienreferendare

  • verfügen über grundlegende politische, ökonomische und gesellschaftliche Kenntnisse und Kategorien, die sie dazu befähigen, ihr Wissen selbstständig auszubauen, um sich hierauf aufbauend kritische und differenzierte Urteile zu bilden;
  • sind sich der Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewusst, erkennen diese im Schulalltag und sind damit in der Lage, ihren normativen Erziehungsauftrag begründet zu verfolgen;
  • sind in der Lage, politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in ihren Auswirkungen auf das Bildungssystem zu erkennen und können hieraus ihre veränderte Aufgabenstellung bzw. ihren veränderten Auftrag in der Schule ableiten;
  • nutzen ihre Kenntnisse über soziale Veränderungen, Schichten und Milieus, um in der Erziehungsarbeit professioneller auf die Lebenswelt(en) ihrer Schüler reagieren zu können.

Didaktische und methodische Kompetenzen

Die Studienreferendarinnen und Studienreferendare

  • führen ihren Unterricht den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsenses folgend, indem sie nicht indoktrinieren, kontrovers diskutierte Sachgegenstände auch in ihrer Pluralität darstellen und die Schülerinnen und Schüler somit befähigen, im Sinne ihrer eigenen Interessen zu handeln;
  • tolerieren in der Schule unterschiedliche Meinungen, regen Schülerinnen und Schüler zu sachlicher Diskussion an und weisen ggf. auf die grundgesetzlichen Grenzen der Meinungsfreiheit hin;
  • bringen im eigenen Fachunterricht, im fächerübergreifenden Unterricht und in Projektarbeiten Aspekte der politischen Bildung mit ein.

Personale Kompetenzen

Die Studienreferendarinnen und Studienreferendare

  • reflektieren die Rolle des Lehrers und dessen Verantwortung im freiheitlichen und demokratischen Staat, um rechtskonform und pädagogisch angemessen handeln zu können;
  • folgen im Unterricht und im schulischen Alltag den Werten eines mündigen und demokratiebewussten Bürgers, um den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild zu sein;
  • sind sensibilisiert für undemokratische Äußerungen und Handlungen und treten aktiv und kenntnisreich gegen demokratiegefährdende Tendenzen ein;
  • nutzen ihr Wissen um Pluralismus, Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit, um andere Meinungen als die ihre, die in der politischen Diskussion vertreten werden, aus sich heraus zu verstehen, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen und dabei auch die eigene Position in Frage zu stellen.



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