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"Deconstruct Antisemitism"

„Was wisst ihr über das Judentum?“ – Eine Schülerin steht allein auf der riesigen Bühne, sie ist schwarz gekleidet, ihre blonden Haare werden vom Scheinwerferlicht angestrahlt. Schweigend blickt sie ins Publikum und stellt dann ihre Frage. Nach und nach betreten 13 weitere Schülerinnen und Schüler die Bühne und geben den zahlreichen Gästen, die sich an diesem Abend in der Aula der Realschule Gauting versammelt haben, verschiedene Antworten darauf, z.B. „Pessach-Fest“ oder „Tora“.

Diese Szene ist die Eröffnung einer beeindruckenden Performance mit dem Titel „Deconstruct Antisemitism“. Das Projekt wurde im Rahmen der Literarischen Woche gegen Antisemitismus in der Internationalen Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg entwickelt und von den beiden Lehrerinnen Maria Quanz und Heike Schaffer begleitet, außerdem vom Kulturreferat sowie dem Kultusministerium gefördert. 14 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 8a und 8d der Realschule Gauting setzten sich in dem Theaterprojekt mit dieser Thematik auseinander. Ihr Ziel: Antisemitismus sichtbar machen und entkräften, denn, wie Schulleiter Reinhard Schlamp in seiner Eröffnungsrede des Abends klarmachte: „Bildung ist das wirksamste Instrument gegen Diskriminierung und Rassismus.“

Erarbeitet wurde das bewegende Stück von den Schülerinnen und Schülern selbst. Die Grundlage dafür waren vier Probentage in der Blutenburg. Die theoretische Arbeit wurde im Rahmen eines Workshops von Djina Krecic (Amadeu Antonio Stiftung Berlin) übernommen. Sie führte die Schülerinnen und Schüler zwei Tage lang in die Thematik Antisemitismus ein. Im Austausch mit den Schülerinnen und Schülern wurden gemeinsam antisemitische Codes und Narrative entlarvt, in größere Zusammenhänge eingeordnet und entkräftet. So lernten die Jugendlichen beispielsweise verschiedene Arten von Antisemitismus kennen, setzten sich aber auch mit antisemitischen Bildern, Texten und Aussagen auseinander, die ihnen z.B. in sozialen Medien ständig begegnen. Im Anschluss daran knüpfte Lena Scholle, die Schauspielerin und Musicaldarstellerin ist, an die von den Schülerinnen und Schülern aufgeschriebenen und ausgesprochenen Ideen und Gedanken zum Thema Antisemitismus an und entwickelte so die Bühnen-Performance mit ihnen gemeinsam.

Und dann ist es endlich so weit: Drei Wochen später stehen die Jugendlichen auf der großen Bühne der Schulaula. Eröffnet wird der Abend von Schauspieler Thomas Birnstiel, der Textpassagen aus Lena Goreliks Buch „Lieber Micha, du bist ein Jude“ eindrucksvoll vorträgt und das Publikum damit tief bewegt. Die jüdische Autorin Gorelik, die in den 1990er-Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam, wendet sich darin an ihren Sohn Mischa und schildert eindrücklich, dass es für jüdische Menschen kein Entrinnen vor ihrer Identität gibt. Sie beschreibt ihre ersten Erfahrungen mit Antisemitismus in der Sowjetunion, dass sie als Siebenjährige das Wort „Jude“ erstmals als Beschimpfung hörte, genauso wie die Rebellion als Teenagerin gegen ihre Eltern und was es aus ihrer Sicht heute bedeutet, als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben.

Die jungen Darsteller greifen daran anknüpfend in ihrer Inszenierung Vorurteile gegen Juden auf. „Warum sollen wir uns mit Antisemitismus beschäftigen?“ – Diese Frage steht im Mittelpunkt der Inszenierung. Mit unterschiedlichen Impulsen beweisen die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, dass es dafür durchaus Gründe gibt. So zitiert beispielsweise eine Schülerin aus dem Münchner Polizeibericht einen Vorfall, bei dem ein Mann am 7. Oktober 2023 antisemitische Parolen rief. Doch die Jugendlichen zeigen nicht nur aktuelle Vorfälle auf, sondern führen ihrem Publikum auch die historische Entwicklung des Antisemitismus vor Augen, von der Schuldzuweisung für die Pest im Mittelalter bis zur heutigen Stigmatisierung als reich und mächtig. Durch eine ausdrucksstarke pantomimische Inszenierung veranschaulichen sie aber auch neue Wege für die Zukunft: Sie zerschneiden weiße Bänder, umarmen sich und setzen damit ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus. Am Ende steht der Satz, der gleichermaßen Wunsch und Erkenntnis darstellt: „Jüdisches Leben in Deutschland? – Normal!“

Zum Abschluss des Abends tragen zwei Schülerinnen aus der 10. Jahrgangsstufe einen weiteren, aktuellen Essay von Lena Gorelik vor, der das Publikum zum Nachdenken anregt. Am Ende geben die beiden Schülerinnen, inspiriert von Lena Goreliks Worten, dem Publikum mit auf den Weg: „Man lässt einen anderen Menschen nicht leiden, weil er oder sie zu einem anderen Volk gehört (...) oder sich zu einem anderen Glauben bekennt.“





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