Martin Ehmann, BerR
Medienpädagogischer Berater digitaler Bildung
Die Gestaltung von Unterricht ist immer ein Spiegel seiner Zeit. Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen haben nie an der Schultür halt gemacht. Das System Schule hat sich dabei stets als anpassungsfähig und experimentierfreudig erwiesen. Nicht alles, dem ein großer Mehrwert zugesprochen wurde, hat seine Versprechungen in der Praxis gehalten. Man denke z.B. an die Idee der Sprachlabore in den 80er Jahren. Vieles hat sich jedoch bewährt und nachhaltig zum Wissen und Können der Schülerinnen und Schüler sowie einer Erziehung zu einem zeitgemäßen Menschenbild beigetragen. Mit der Entstehung einer Kultur der Digitalität seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts, in der zunehmend digitale Medien das gedruckte Wort als Leitmedium ablösen, wandelt sich das System Schule erneut.
Die Empfehlungen zur IT-Ausstattung von Schulen – Votum 2023/2024 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus beschreiben die Ausstattung eines „digitalen Klassenzimmers“ folgendermaßen: „Die Einrichtung eines digitalen Klassenzimmers besteht aus einer (zusätzlichen) Anschlussmöglichkeit (z. B. per Docking-Station) für das Lehrerdienstgerät oder einen Lehrercomputer, einer oder mehreren Möglichkeiten zur digitalen Großbilddarstellung, Peripheriegeräten für Präsentationen (Dokumentenkamera oder entsprechende Halterung für ein mobiles Endgerät, Möglichkeit der drahtlosen Bildschirmübertragung, Audiosystem) und der Zugangsmöglichkeit von digitalen Endgeräten für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräften zum Schulnetz bzw. Internet per WLAN.“
Diese Einrichtung stellt heute keine Besonderheit mehr da. Man kann sagen, es beschreibt den heutigen Standard. Mit dieser in der Fläche verfügbaren Ausstattung hat sich auch der Alltag für uns Lehrkräfte geändert. Vieles wurde einfacher. Verschmierte Folien, Fernsehwagen, die über die Flure gerollt wurden, Filmrollen aus dem kommunalen Medienzentrum – alles ist verschwunden. Niemand trauert diesem Zustand nach.
Ganz langsam und vielleicht auch eher unterbewusst hat sich damit auch der Unterricht gewandelt. Die Bereitschaft, etwas durch einen Film zu veranschaulichen, steigt, wenn man diesen nicht Tage vorher reservieren und abholen muss, den Filmraum buchen oder den Fernseher ins Klassenzimmer schieben muss. Versiertere Kolleginnen und Kollegen haben sich auf den Weg gemacht, um eigene Lehrfilme zu erstellen und in den Unterricht zu integrieren. Die Popularität von Erklärvideos und der Unterrichtsmethode des Flipped-Classrooms sind ein Beleg für diesen Wandel. Aber auch die Lehrkraft, die nicht diesen digitalen Vorreitern angehörte, hat sich höchstwahrscheinlich der zahlreichen Möglichkeiten bedient, die vielfältigen Quellen des Internets in den eigenen Unterricht einzubauen. Der Alltag für uns Lehrkräfte wurde durch die digitalen Klassenzimmer auf jeden Fall digitaler. Dies lässt sich auch in Zahlen belegen: So hat sich der Anteil der Lehrkräfte, die mindestens einmal in der Woche digitale Medien im Unterricht verwenden, in der Studie ICILS 2018 #Deutschland gegenüber der Umfrage 2013 fast verdoppelt (von 344% auf 602%) und dürfte in den letzten Jahren eher noch weiter gestiegen sein. Aber wie sieht es mit dem schulischen Alltag der Schülerinnen und Schüler aus?
„Die in Deutschland mit Abstand häufigste Form, digitale Medien im Unterricht zu nutzen, ist das Präsentieren von Informationen im Frontalunterricht (Anteil Kategorie Häufig bis immer: 44.1%). Nur etwa ein Siebtel (14.8%) der Lehrpersonen in Deutschland gibt hingegen an, häufig bis immer digitale Medien zur individuellen Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler oder von kleineren Schülergruppen im Unterricht zu verwenden.“ Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Umfragedaten der neuen ICILS-Studie, die im Herbst 2024 veröffentlicht wird, hier zu neuen Erkenntnissen kommt. Meines Erachtens spiegeln diese Zahlen jedoch auch (sicherlich jedoch nicht nur) die Verfügbarkeit der entsprechenden Technik. Während die Geräte für die Lehrkraft im Klassenzimmer schnell und leicht verfügbar sind, ist der Tabletkoffer zum Medienwagen des Hier und Jetzt mit seinen bekannten Hemmnissen geworden. Der schulische Alltag bleibt für unsere Schülerinnen und Schüler somit - Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel - zu großen Teilen analog und Medien werden vor allem rezeptiv aufgenommen.
Mit dem Pilotversuch „Digitale Schule der Zukunft“ macht sich das System Schule in Bayern seit nunmehr zwei Schuljahren auf den Weg, auch die digitale Ausstattung der Schülerinnen und Schüler in den Blick zu nehmen. Wenn für jede Schülerin und für jeden Schüler ein eigenes Endgerät dauerhaft zur Verfügung steht, wird sich der Unterricht weiter wandeln.
Sollten Sie das – und ich meine es wirklich so - Vergnügen haben, Unterricht an einer der Pilotschulen, z.B. in unserem Aufsichtsbezirk, der Therese-Giehse-Realschule in Unterschleißheim, zu besuchen, werden Sie feststellen, dass der Anteil der Schüleraktivität mit den digitalen Endgeräten sehr hoch ist. Experimente werden aufgezeichnet und vertont, Texte werden erstellt, digital eingesammelt und mit einem kurzen Feedback zurückgegeben und vieles mehr. Sicherlich kann man vieles auch in einem analogen Setting darstellen. Der damit verbundene Aufwand, z.B. wenn Sie Hefte mit nach Hause nehmen, um eine Übung zu korrigieren, statt eine digitale Kopie auf ihrem Dienstgerät mitzunehmen, ist jedoch ungemein höher und die Häufigkeit dadurch deutlich reduziert. Blickt man in der bereits genannten Studie ICILS 2018 auf Dänemark, das zum Befragungszeitpunkt bereits flächendeckend eine 1:1-Ausstattung etabliert hatte, sieht man deutlich, wie diese auch den Unterricht sowohl aus Sicht der Lehrkräfte als aus der Schülerinnen und Schüler verändert.
Präsentieren von Informationen im Frontalunterricht |
Unterstützung schülergeleiteter Klassendiskussionen und Präsentationen |
Individuelle Förderung einzelner Schüler/innen oder kleiner Schülergruppen |
Rückmeldung zur Arbeit der Schüler/innen geben |
Unterstützung der Zusammenarbeit von Schüler/innen |
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Deutschland | 44,1% | 19,6% | 14,8% | 11,2% | 10,1% |
Dänemark | 75,9% | 53,2% | 47,4% | 40,8% | 32,4% |
Häufigkeit der Verwendung digitaler Medien durch Lehrkräfte im Unterricht in ICILS 2018 in Deutschland im internationalen Vergleich (Angaben der Lehrpersonen in Prozent, zusammengefasste Kategorie: „Ich nutze häufig bis immer digitale Medien“)
Nach ICILS 2018, Tabelle 7.2
Verwenden des Internets zur Informationsbeschaffung |
Vorbereiten von Referaten und Aufsätzen |
Vorbereiten von Präsentationen |
Online mit anderen Schüler/innen arbeiten |
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Deutschland | 48,9% | 14,6% | 13,4% | 11,8% |
Dänemark | 91,5% | 60,9% | 45,1% | 85,5% |
Häufigkeit der Nutzung digitaler Medien für schulbezogene Aktivitäten in ICILS 2018 in Deutschland im internationalen Vergleich (Angaben der Schülerinnen und Schüler in Prozent, zusammengefasste Kategorie: „Mindestens einmal in der Woche“)
Nach ICILS 2018, Tabelle 8.3
Zusammenfassend sieht man eindrucksvoll, dass die digitalen Geräte in einem 1:1-Setting nicht nur dazu führen, dass sie häufiger genutzt werden. Signifikant ist vor allem, dass die Verfügbarkeit und die regelmäßige Nutzung zu einem anderen Nutzerverhalten führen. Schülerinnen und Schüler nutzen diese Geräte sehr intensiv, um kooperativ mit den anderen Mitgliedern ihrer Klassengemeinschaft zu arbeiten. Die Endgeräte erweitern den Lernraum Schule, da nun auch zuhause kooperativ an Lernprodukten gearbeitet werden kann. Schülerinnen und Schüler werden somit vom Rezipienten digitaler Medien zum Produzenten digitaler, fachbezogener Lernprodukte, bei denen das fachliche Lernen weiterhin im Vordergrund steht.
Würde dieser Artikel hier enden, könnten Sie als Leserin oder Leser mir nun vorwerfen, ob ich denn die letzten Wochen und Monate verschlafen habe. Länder wie Dänemark und Schweden rudern doch gerade zurück, wenn es um die digitalen Medien geht. Das ist (teilweise) korrekt. Liest man die Artikel hinter den plakativen Überschriften, stellt man fest, dass auch dort nicht der Weg zurück in den analogen Unterricht oder die Digitalisierung ausschließlich des Lehrers gesucht wird. Auch in diesen Ländern geht es um das, was die bayerischen Digitalisierungsprojekte bereits jetzt als Ziel haben: ein pädagogisch und didaktisch reflektiertes Neben- und Miteinander von digitalen und analogen Lernformen. Die Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Dennoch müssen wir anerkennen und berücksichtigen, dass es unsere Aufgabe ist, unsere Kinder und Jugendlichen auf eine in hohem Maße digital geprägte Arbeits- und Lebenswelt vorzubereiten. Dies schaffen wir nicht alleine mit Stift, Heft und Reflexion über Medien. Wir brauchen dazu (auch) das aktive Arbeiten mit digitalen Medien.
Das Netzwerk Digitale Bildung der MB-Dienststelle unterstützt Schulen und Lehrkräfte auf dem Weg, digitale Endgeräte systematisch und nachhaltig in den Unterricht zu implementieren. Lassen Sie uns gerne wissen, wie wir Ihnen ganz konkret auf diesem Weg behilflich sein können.
Martin Ehmann, mBdB
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