Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen hatten die besondere Gelegenheit, zwei Zeitzeugen zu erleben, wie sie in dieser Konstellation in Deutschland bisher noch nicht zu sehen waren: Niklas Frank, der Sohn des als "Schlächter von Polen" bekannten Naziverbrechers Hans Frank, und Anita Lasker-Wallfisch, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen, erzählten gemeinsam von ihrem Leben und beantworteten Fragen der Schüler.
Frau Lasker-Wallfischs Enkel Simon Wallfisch umrahmte die Vorträge musikalisch mit Gesang und Cellospiel. Frau Lasker-Wallfisch wechselte zwischen Auszügen aus ihren Büchern sowie Erinnerungen ihrer Schwester Renate und freier Erzählung ab. Geboren 1925 in Breslau wurde Frau Lasker Wallfisch zusammen mit ihrer Schwester nach der Deportation ihrer Eltern zur Arbeit in einer Papierfabrik gezwungen. Dort versuchten sie, mit gefälschten Pässen ins unbesetzte Frankreich zu gelangen, was jedoch in letzter Minute schief ging. Sie wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt und schließlich in einem Häftlingszug nach Auschwitz gebracht. Dies war ihr großes Glück, da sie dadurch der Selektion und der Gaskammer entkamen. Bei der Aufnahmeprozedur erwähnte Frau Lasker-Wallfisch zufällig, dass sie Cello spiele, und kam so in das Mädchenorchester von Auschwitz, das sowohl für die SS-Offiziere als auch morgens und abends für die zur Arbeit marschierenden Häftlinge spielen musste. In diesem Orchester waren die Überlebenschancen deutlich besser. Anfang 1945 wurden die KZs in Polen geräumt und die beiden Schwestern wurden in das KZ Bergen-Belsen in Niedersachsen gebracht. Dort überlebten beide knapp die schrecklichen letzten Wochen vor der Befreiung. "Die erste britische Panzereinheit, die in Bergen-Belsen eintraf, war die Panzerabwehr des 63. Panzerabwehrregiments. Der Anblick, der sich den Ankommenden bot, ist unbeschreiblich. Es waren ungefähr 50 000 Menschen im Lager, von denen ca. 10 000 tot in den Baracken oder im Lager herumlagen." (Anita Lasker-Wallfisch: "Ihr sollt die Wahrheit erben", S. 158) Eigentlich hatte sich Frau Lasker-Wallfisch vorgenommen, nie wieder deutsch zu sprechen und nach Deutschland zu kommen. Doch mit den Jahren brachten sie verschiedene Erlebnisse zu der Erkenntnis, wie wichtig es ist, gerade hier von ihrem Schicksal zu berichten und zu versuchen, dadurch eine Wiederholung der Ereignisse zu verhindern.
Nachdem Simon Wallfisch das beeindruckende jüdische Trauergebet Kaddisch gesungen hatte, leitete Herr Frank mit dem Satz "Und für das, was Frau Lasker-Wallfisch erlitten hat, war mein Vater mitverantwortlich" zu seinem Vortrag über. Zwar könnte man nun meinen, dass hier beide Seiten des Holocaust - Täter und Opfer - vertreten waren, doch an Niklas Franks Bericht erkennt man, dass auch er ein Opfer seines Vaters Hans Frank ist, der als Generalgouverneur des von den Nazis besetzten Polen für Kriegsverbrechen und Ermordung Hunderttausender mitverantwortlich war und dafür schließlich hingerichtet wurde. In deutlichen Worten brachte Herr Frank die Verachtung, den Hass, den er seinem Vater gegenüber fühlt, zum Ausdruck. Er bezichtigt ihn vor allem der Feigheit, da Frank selbst bei den Nürnberger Prozessen nur sehr eingeschränkt die Verantwortung für die Verbrechen in Polen übernommen hatte. Niklas Frank rief eindrücklich dazu auf, in einem Klima wachsender Fremdenfeindlichkeit und verbaler Aggressivität den Mut zu finden, dagegen aufzustehen - und nicht wie sein Vater zu versuchen, die eigenen Interessen durch Feigheit zu schützen. Im Anschluss hatten die Schüler und Schülerinnen die Gelegenheit, den beiden Zeitzeugen Fragen zu stellen. Mit großer Offenheit den Jugendlichen gegenüber berichteten Frau Lasker-Wallfisch und Herr Frank weiter aus ihrem Leben. Dabei betonten sie immer wieder, dass es eine entscheidende Aufgabe sei, sich vorurteilsfrei über andere Kulturen und Religionen zu informieren und auf einander zuzugehen. Sonst, so die Antwort auf die Frage einer Schülerin, sähen sie durchaus die Gefahr ähnlicher Entwicklungen wie in den 30er Jahren.
Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich sehr beeindruckt von den Gästen. Besonders überrascht waren sie, wie beide trotz allem sehr humorvoll erzählten und sich so gut verstanden. Der Aufruf zu Toleranz und Dialog stieß auf große Resonanz. Damit stehen die Chancen wohl gut, dass Frau Lasker-Wallfisch und Herr Frank die vielen Reisen und Mühen nicht umsonst auf sich nehmen. Wer sich selbst von Frau Lasker-Wallfisch und Niklas Frank ein Bild machen möchte, der findet auf br-online einen kurzen Bericht, der während ihres Vortrags in Traunstein gemacht wurde. Außerdem wird Frau Lasker-Wallfisch am 27. Januar die Rede im Bundestag zum Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus halten.
F. Krüger
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